Eine ausführliche Anamnese ist bei Rückenschmerzen aufgrund der diversen Erscheinungsformen von besonderer Bedeutung.

Hierbei spielt die Unterscheidung zwischen „red flags“ und „yellow flags“ eine große Rolle. Die „red flags“ sind Warnhinweise auf spezifische Ursachen für den Rückenschmerz, die eine sofortige Abklärung der Therapie erfordern. Hierzu zählen starke Entzündungszeichen, unklares Fieber oder neurologische Ausfälle. Die „yellow flags“ bezeichnen psychische Risikofaktoren, die zu einer Chronifizierung von Rückenschmerz führen können. Von einer Chronifizierung wird gesprochen, wenn sich aus akuten Schmerzen, eine dauerhafte Problematik (> 12 Wochen) entwickelt.

Entstehung von chronischem Rückenschmerz
Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten chronischen Schmerzsymptomen in der heutigen Zeit. Eine Vielzahl an psychosomatisch und psychobiologischen Mechanismen sind für die Entstehung chronischer Rückenschmerzen von großer Relevanz. Stress am Arbeitsplatz, im Privatleben oder unverarbeitete Ereignisse sind als potenzielle Auslöser zu nennen. Grund dafür ist eine erhöhte Muskelspannung, die durch eine gesteigerte Alarmbereitschaft hervorgerufen wird.
Durch die Angst, die Schmerzen zu verschlimmern, beginnt der Teufelskreis. Bewegungen werden vermieden, eine Schonhaltung eingenommen und das Selbstvertrauen geschwächt. Durch das sogenannte Schmerzgedächtnis kann das Gehirn als langfristige Folge Schmerzen wahrnehmen, obwohl es keine akuten Reize mehr gibt.

Zusammenfassen lässt sich die enge Beziehung zwischen körperlichen und psychischen Vorgängen unter dem bio-psycho-sozialen Schmerzmodell nach Engel. Demnach stellt Schmerz ein multidimensionales Syndrom dar, welches sich auf drei Ebenen auswirkt:

Bio-psycho-soziales Schmerzmodell nach Engel

Häufig bedeuten alltägliche Aufgaben durch den Schmerz neue Herausforderungen, wodurch Kompetenzen sowie die Rollenfunktion der eigenen Person hinterfragt werden. Psychische Aspekte, wie z.B. das Selbstbild, müssen der neuen Situation angepasst werden. Als Versuch, den Schmerz zu vermeiden und die verminderte Leistungsfähigkeit zu umgehen, wird sich sozial zurückgezogen, was häufig zu einer psychischen Isolation führt. Psychische Begleiterkrankungen wie Depressionen sind mögliche Folgen.

Therapie chronischer Rückenschmerzen
Therapeutische Ansätze, die psychische und soziale Aspekte bei chronischen Schmerzen integrieren, sind bei der Behandlung von großer Bedeutung. Rückenschmerz sollte stets unter Berücksichtigung seiner komplexen Wechselwirkungen und verschiedenen Ebenen betrachtet werden, da die Symptombekämpfung allein oft nicht ausreichend ist.
Um eine erneute Chronifizierung nach erlangter Schmerzfreiheit zu verhindern, sollte auch im Nachgang darauf Wert gelegt werden, dass regelmäßige körperliche Aktivität stattfindet und die psychosozialen Strukturen des Patienten weiterhin beobachtet werden.

 

Quellen:
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• Reit, W.; Helmberger, T. (2020); Rückenschmerz. Radiologe 60, 107–108 (2020). https://doi.org/10.1007/s00117-019-00640-x
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• Heger, S. Zur Psychosomatik des Failed-back-Syndroms: warum Rückenschmerzen chronifizieren Plädoyer für einen zeitgemäßen Umgang mit den Lumbago-Ischialgie-Syndromen. Nervenarzt 70, 225–232 (1999). https://doi.org/10.1007/s001150050426
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• Neustadt, K., Kaiser, U., Sabatowski, R., 2017/12/04 Das biopsychosoziale Schmerzmodell: Leidfaden Heft 2017 Heft 4 10.13109/9783666402906.49

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